Über Tote soll man nichts Schlechtes sagen
„De mortuis nihil nisi bene“, sagen die Lateiner, was mit „über Tote soll man nichts Schlechtes sagen“ in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde. Und „Wer hat’s erfunden?“ – die antiken Römer? Nein, es ist eine ins Lateinische übernommene altgriechisches Redewendung, „τον τεθνηκότα μη κακολογείν“ (ton tethnikota mi kakologein), welche den Rang eines religiösen Gebots hatte. Einer, der sich gern auf Philosophien und Geschichtskenntnisse beruft, ist der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. Anlässlich der Bekanntgabe des Todes von Schäuble, reagierte er ganz und gar nicht gemäß diesem Gebot. Er postete in sozialen Medien und auf seiner persönlichen Internetseite eine posthume Verurteilung seines einstigen Rivalen.
Während der gemeinsamen Zeit in der Eurogruppe und auch in den Jahren danach hatte Varoufakis bei aller Kritik an Schäuble immer Respekt vor seinem Amtskollegen gezeigt. Heute ist vom Respekt nur wenig übrig. Als Nachruf schrieb er über ihn,
„Wolfgang Schäuble verkörperte das politische Projekt einer Währungsunion, an das er selbst nicht glaubte. Dazu musste er selbst in Deutschland gewaltsame Sparmaßnahmen durchsetzen und in Ländern wie Griechenland demokratische Institutionen abbauen. Mit anderen Worten: Schäuble verkörperte den explosiven Widerspruch, der sowohl zur Euro-Krise als auch zu den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung führte – Maßnahmen, die einerseits zur Verarmung Griechenlands und andererseits zur aktuellen Deindustrialisierung Deutschlands und dem Abgleiten Europas in die geopolitische Bedeutungslosigkeit führten. Die Geschichte wird ihn hart verurteilen, aber nicht härter als diejenigen, die seinem katastrophalen Projekt und seiner Politik nachgegeben haben.“
Zudem erinnerte Varoufakis mit Auszügen aus seinem Buch über die Eurokrise daran, dass Schäuble in der Eurogruppe gegenüber Spanien gesagt habe, „Wahlen dürfen die Wirtschaftspolitik nicht ändern“. Für Varoufakis war dies ein Indiz demokratiefeindlicher Gesinnung. „Was mich noch mehr verblüffte als Wolfgang Schäubles Überzeugung, Wahlen seien irrelevant, war die völlige Gewissenslosigkeit, mit der er diese Ansicht zugab.“
Ungewöhnliche Einmütigkeit von Varoufakis und Tsakalotos
Nachdem der damalige Premierminister Alexis Tsipras im Sommer 2015 das Ergebnis der Volksabstimmung ignorierend, zum Sparkurs schwenkte, verließ Varoufakis seinen Posten und seine Partei. Nachfolger im Amt des Finanzministers wurde Euklid Tsakalotos, der bis dato mit Varoufakis befreundet war. Tsakalotos setzte das Spardiktat treu um, was schlussendlich zum Absturz seiner Partei SYRIZA und deren Zerbrechen führte. Varoufakis gehörte zu den schärfsten Kritikern seines früheren Freundes.
Umso mehr überrascht, dass sich beide in der Beurteilung des Verstorbenen einig sind. „Wir müssen fair und streng sein. Die Geschichte wird ihn nicht gut beurteilen“, kommentierte der ehemalige Finanzminister und jetzige Abgeordnete der Neuen Linken, Tsakalotos, wenige Stunden nach Bekanntgabe des Todes von Wolfgang Schäuble. Er wirft dem CDU-Politiker vor, den Weiterbestand der EU gefährdet zu haben.
„Er war ein Führer, der die Eurogruppe zu viele Jahre lang dominiert hat, der eine politische Union Europas wollte, aber nur für bestimmte Länder. Sein Traum war eine politische Union für die Wenigen.“ Für Tsakalotos sind Schäubles politische Ansichten überholt. „Es ist ein typisches Beispiel für Politiker, die in einer Krise nicht verstehen, dass sich das Paradigma geändert hat, dass die alten Richtlinien und Ideologien nicht funktionieren. Er hätte Europa zerstören können.“
Es fällt auf, dass bei den Nachrufen die ansonsten übliche Floskel des Beileids an die Angehörigen in den Hintergrund tritt. Den gleichen Tenor, der strengen Verurteilung des Verstorbenen wählten außer den linken Spitzenpolitikern auch viele griechische Medien.
CNN-Greece erinnert in einem Nachruf mit dem Titel „Schäubles „Obsession“ mit Griechenland und seine „giftigen“ Äußerungen“ (daran, dass der frühere Bundesfinanzminister den Deutschen angesichts der aktuellen Energiekrise empfohlen habe, zwei Pullover anzuziehen. Das Portal Librewidmete ihm mehrere Artikel, unter anderem auch einen mit dem Titel „Schäuble: Der „Wolf“ von Berlin und sein Druck hinter den Kulissen für den Grexit – Das Rollenspiel des „guten und – des böse-Polizisten“ mit Merkel“.
Im Artikel bewirbt der Herausgeber und Chefredakteuer von Libre, Serafim Kotrotsos, sein Buch „Wolf-Gang – die Bande des Wolfes“. Kotrotsos versucht ein Wortspiel mit dem Vornamen des Verstorbenen. Dabei verrenkt er sich in der sprachwissenschaftlich zumindest seltsamen Argumentation, dass „Wolf“ im Deutschen das Raubtier und „Gang“ im Englischen eine Bande bezeichnen würde.
Etwas seriöser titelte die Zeitung Ta Nea ihren Artikel „wie sich die Griechen an Schäuble erinnern werden“. Darin werden in sachlicher Form die Kontroversen der Krisenzeit aufgezählt, samt der damaligen Nazi-Vergleiche, denen Schäuble und Merkel ausgesetzt waren.
In Finanzpublikationen wie Capital.gr wird der politische Werdegang Schäubles nüchtern analysiert und der in Griechenland verbreiterte Hass thematisiert. Doch auch Capital.gr geht in „Schäubles lange Karriere und sein umstrittenes Erbe“, hart mit Schäuble ins Urteil und es ist zu lesen, dass dessen Beharren auf die „schwarze Null“ die aktuelle Misere Deutschlands verursacht hätte.
Es ist bemerkenswert, dass ansonsten mit zahlreichen Äußerungen in sozialen Medien mitteilungsfreudige konservative Politiker, wie der aktuelle Premier Kyriakos Mitsotakis, oder sein Arbeitsminister Adonis Georgiadis bis zum gestrigen Abend kein Wort über Schäuble verloren haben. Georgiadis hatte 2015 als damaliger Oppositionspolitiker getönt, „wir werden alles absegnen, was Schäuble verlangt, und noch viel mehr“. Jetzt, nach dem Tod und dem vorherigen Machtverlust, wollen Schäubles frühere Freunde und Unterstützer in Griechenland lieber vergessen werden.
Nur wenige trauen sich, weiterhin treu zu ihrer Überzeugung zu stehen. Der Journalist Aris Portosalte, eine der einflussreichsten Stimmen für Schäubles Spardiktat wagte es den Tod Schäubles mit den Worten, „dieser Mensch, das ist meine Meinung, hat sich Griechenland gegenüber nicht streng verhalten, wir wollten es so sehen. Er bestand auf die Einhaltung der Regeln“. Er erntete einen Shitstorm in den sozialen Medien.
„Was heißt das konkret für mich!?“
Wolfgang Schäuble ist tot. In kaum einem anderen EU-Land gab und gibt es so viele Kritiker des verstorbenen Bundesfinanzministers wie in Griechenland. Im Text bekommen die Leser einen Eindruck vom Echo, das der Tod Schäubles in den griechischen Medien und der griechischen Politik hervorrief.
Dass sich kaum jemand traut, gut über ihn zu sprechen, ist bezeichnend. Viele Menschen in Griechenland führen Deutschlands aktuelles Chaos auch auf die 16 Jahre Merkel samt Schäubles Wirken zurück. Ausdrücklich „auch“, denn an der aktuellen Ampel lässt kaum jemand ein gutes Haar.
Kommentare
Ansonsten hat er die souveränität der deutschen an eine sozialistische Europäische Union verkauft.
»Wenn man nichts Gutes über jemanden sagen kann, sollte man lieber schweigen.«
Wolfgang Schäuble hatte schon vor sehr langer Zeit Prognosen und Aussagen in der Öffentlichkeit abgegeben, die bei mir seinerzeit große Fragezeichen aufwarfen.
Vor ca. 15 Jahren hat mich seine Aussage: es sei bei einer kommenden Pandemie nicht eine Frage des "ob", sondern nur eine Frage des "wann" sehr irritiert. Genauso drückte er sich schon sehr lange vor dem eigentlichen Geschehen, bezüglich bevorstehenden Völkerwanderungen in Richtung Europa aus. Auch diese Aussage konnte ich in den 2000er Jahren nicht richtig einordnen.
Leider kann ich diese Dokumente nirgends im Internet mehr finden, welch Zufall.
Ebenfalls empfand ich damals seine Aussage, die Bundesrepublik sei nach 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr souverän gewesen, als sehr bemerkenswert. (heute weiß das jeder)
Ich persönlich halte Herrn Schäuble für einen Eingeweihten.
Möge die Geschichte über den Vorbehalt seines Wissens vor seinem Volk über ihn urteilen.
Natürlich könnte man weiter auflisten & ins Detail gehen aber da bekomme ich noch Puls ohne Ende. Da nach Kohl viel Wind gesät wurde brauche ich meine Kraft auch eher für die Stürme der Zukunft.
Anerkennung für Leistung von einem Schäuble & Co. gibt es vom mir mit Sicherheit nicht.
Den deutschen Bundesbürgern, vor allem hier im Westen, welche Angst vor Nazis haben & selber keinen kennen, würde ich noch gern bei dieser Gelegenheit sagen, daß sie sich selbst auch noch richtig nicht kennen.
Diese Leute werden sich selbst vielleicht noch beim Erwachen vor dem leeren Kühlschrank kennenlernen.
Besser spät als nie oder?
vielen Dank für Ihren Beitrag. Ein paar Fakten zur Erinnerung: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/142837/anatomie-eines-niedergangs-griechenland-und-die-europaeische-union/
„Griechenlands Beitritt zur Eurozone am 1. Januar 2001 ermöglichte den griechischen Regierungen zum ersten Mal, auf dem internationalen Kapitalmarkt Kredite zu günstigen Zinsen aufzunehmen. Für Anleihen, die sich Griechenland bis dahin selbstständig hatte verschaffen können, waren ungefähr zehn Prozent Zinsen verlangt worden. Unter dem Schirm der Eurozone und mit Garantien der Europäischen Zentralbank konnte der griechische Staat zum ersten Mal langfristige, zinsgünstige Anleihen aufnehmen und die Tilgung der Schulden hinausschieben.(11)
Damit begann die griechische Tragödie, denn die Regierungen, die im darauffolgenden Jahrzehnt an der Macht waren, setzten dieses Geld nicht investiv ein, etwa um die Produktionsstrukturen zu modernisieren (wodurch sich ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum hätte ergeben können), sondern konsumtiv, um den Staatsapparat zu vergrößern und neue Beamte einzustellen oder für Projekte wie die Olympischen Spiele und den Kauf von Waffen und Rüstungsgütern. Weil jedoch die Staatseinnahmen nicht ausreichten, um die alten Schulden zu bedienen, mussten immer neue Anleihen aufgenommen werden. Da die griechische Wirtschaft in der Vergangenheit nicht auf den gemeinsamen europäischen Markt vorbereitet und damit nicht konkurrenzfähig war, strapazierte dies die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zusätzlich“.(12).
Vgl. Giorgos Argeitis/Giannis Dafermos/Maria Nikolaidi, Staatsverschuldungskrise in Griechenland: Gründe und Perspektiven, Athen 2011 (griechisch), S. 32. (11)
Vgl. Panagiotis Liargovas, Die Europäische Wirtschaftsunion und Griechenland, in: Giannis Valinakis (Hrsg.), Griechische Außenpolitik und Europäische Politik, Athen 2010 (griechisch), S. 283–296.(12).
Mit freundlichen Grüßen
In den einzellnen Gesellschaften sollte man unterscheiden zwischen den Politikern und den Völkern, da diese meist weit auseinandertriften. Die Griechen, sofern sie überhaupt Zeit haben oder sich nehmen, über einen Schäuble nachzudenken, assoziieren einen mindestens narzistischen deutschen Politiker nicht automatisch mit den Deutschen, dafür sorgen leideer die öffentlich rechtlichen Nachrichteninstitutionen. Eine deutsche Minderheit erkannte, dass sie mit einem (korrupten?) Schäuble schon sehr geschlagen waren. Einen anderen Teil interessierte es nicht oder er blendete es hoffnungsgeschwängert einfach aus. Politiker der unterschiedlichen Länder betrügen und belügen nicht nur ihre Völker, sondern sich auch gegenseitig auf Kosten ihrer Bevölkerung um eignen Macht- bzw. Finanzansprüche zu sichern. Da die eigentliche Deffinition von Demokratie schon sehr lange (eigentlich von Anfang an) von Größenwahnsinnigen, mit Hilfe der psychologischen Möglichkeiten pervertiert wurde, die meisten Menschen deren Bedeutung nicht wirklich begriffen haben, war und ist die Spaltung der Menschheit erst möglich geworden. So wie griechische Politiker gekauft wurden um das Land unter falschen Voraussetzungen in die EU zu drücken, so handelten gekaufte deutsche und auch Politiker aus anderen Ländern entgegen der eigentlichen, gesetzten Rahmenbedingungen, (die m.E. von Anfang an sehr windelweich in ihrer Auslegung angelegt waren) zugunsten eines Machtanspruches der psychopathischen, willfährigen, korrupten EU Vasallen der USA. Den Völkern erzählte man jedoch von Anfang an nur Märchen, die diese nur zu gern glauben mochten. Eine Kontrolle der Politik von Seiten der Völker ist seit langer Zeit überfällig. Wahlen jedoch sind keine geeignete Mittel, wie sich aus der Erfahrug ableiten läßt. Mehr Menschenkenntnis, mehr eigenes Denken, mehr politische Auseinandersetzung innerhalb der Gesellschaften, mehr Druck von den einzellnen Gesellshaften, mehr Verantwortung sich und der Gesellschaft gegnüber sind zwingend notwendig, um Menschen wie Schäuble in politischer Verantwortung zu verhindern, egal in welchen Ländern. Schäuble, wie so viele andere "Mächtigen" sind verzichtbar für eine echte Demokratie und die Menschheit. Die einzige Gerechtigkeit (noch?), auch sie müssen irgendwann dahin gehen, wo das letzte Hemd keine Taschen hat. Den Schaden den diese Individuen angerichtet haben, müssen sich die Menschen der jeweiligen Länder jedoch auch auf die eigene Fahne heften lassen, den sie haben sich manipulieren, einschüchtern und auch mit windigen Versprechungen kaufen lassen. Einem Volk kann und wird es nur gut gehen, wenn es Verantwortung für sich als Teil des Staates übernimmt. Um dies zu ermöglichen, bedarf es einer Vehemenz für gute Bildung ohne in Indoktrination. Der Staat ist das Volk, die Politiker deren Vertreter und wenn man windige, größenwahnsinnige, verlogenen Gestalten dafür auswählt oder durch Parteiensysteme zuläßt, dann muss sich kein Volk wundern, es hat halt seine Hausaufgaben nicht gemacht, egal ob in Deutschland, Griechenland, Frankreich etc., denn die Schäubles und noch schlimmere Politvolksverräter sind überall und werden immer mehr!
Schäuble, auch nur einer, den wir in politischer Verantwortung nicht gebraucht hätten, da ihm Land und Leute am Allerwertesten vorbeigingen. Einer, dem Macht und Geld wichtiger waren als Land und Menschen. Einer der seinen "Eid" gebrochen hat, wo immer es ihm nur möglich war. Einer, der halt für immer gegengen ist.