Postfaktisch ist eines der Wörter, die in den letzten Jahren Einzug in unseren Sprachgebrauch gefunden haben. Das Wort des Jahres, welches als Lehnübersetzung des englischen Ausdrucks „post-truth“ entstanden ist, beschreibt das Phänomen, dass Menschen statt Fakten lieber ihren Gefühlen vertrauen. Besonders der Politikstil des neuen US-Präsidenten Donald Trump wird gern als Paradebeispiel für postfaktisches Handeln zitiert. Tatsächlich ist das Phänomen nicht allein auf die USA beschränkt. Der griechische Premierminister Alexis Tsipras zelebriert, obwohl nominell aus einem Trumps Einstellungen gegenüber diametral entgegengesetztem politischem Lager kommend, das Postfaktische mit meisterhafter Darstellungskunst.

So jubelte der griechische Premierminister am Montag während einer Kabinettssitzung über den von ihm geschafften Umschwung in der Wirtschaftsentwicklung. Tsipras freute sich, dass er endlich einen Aufschwung und ein Wirtschaftswachstum für das seit neun Jahren in der Rezession befindliche Land geschaffen habe. Die Geschichte klingt gut, hat aber einen Haken.

Zeitgleich mit Tsipras live im Fernsehen übertragenen Rede, vermeldete die unabhängige griechische Statistikbehörde ElStat ihre Quartalszahlen. Demnach erlebte Griechenland im vierten Quartal 2016 das schlechteste letzte Quartal seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten. Schlechtere Daten im vierten Quartal lieferte, im Vergleich zum jeweils davor liegenden dritten Quartal, zuletzt das Jahr 1998.

Das dritte Quartal 2016 hatte im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von zwei Prozent und somit erstmals in der Krise ein nennenswertes Wachstum aufgezeigt. Das vierte Quartal 2016 erwies sich dagegen als Desaster, obwohl es traditionell wegen der Festtage des Dezembers, der Ausverkaufsperiode des Einzelhandels und der zum Jahresende fälligen Steuern und sonstigen Abgaben den besten Umsatz liefert. Es wurde eine Rezession von 1,1 Prozent gegenüber dem vierten Quartal 2015 registriert, während in ersten Schätzungen zum Ende 2016 noch von einem Wachstum um 0,3 Prozent die Rede war. Damals hatte Tsipras einen Teil des über das Vertragsziel hinaus gehende Primärplus im Staatshaushalt als einmalige Gabe an bedürftige Rentner verteilt und dies zunächst als die Wiedereinführung der 13. Monatsrente gefeiert.

Seinerzeit mahnten die Kreditgeber an, dass die Zahlen noch vorläufig seien, und Tsipras doch besser auf seinen Alleingang verzichten solle. Endgültige Zahlen erwarteten die von der Regierung Institutionen und im Volksmund weiterhin als Troika bekannten Kreditgeber erst zum Ende des ersten Quartals 2017.

Heute versucht die Regierung mit der gleichen Argumentationsweise den Fauxpas des Premiers ungeschehen zu machen. Die von der ElStat ermittelte Rezession um 0,05 Prozent statt des bislang von der Regierung postulierten marginalen Wachstums sei nur vorläufig, heißt es. Bis April, bei einer Neuberechnung, würde der Erfolg Tsipras bewiesen, verlautet es aus Regierungskreisen.

Tatsächlich jedoch verschlechtern die ElStat Werte die Verhandlungsposition Tsipras gegenüber den Gläubigern. Allen voran besteht der Internationale Währungsfonds darauf, dass Tsipras, der gegenüber den übrigen Kreditgebern auf deren Druck hin ein Ziel von 3,5 Prozent Primärüberschuss für die nächsten Jahre zugesichert hat, für diesen Primärüberschuss eine weitere Rezession hinnehmen muss. Außer dem Beleg der ElStat kann der IWF auch auf die Zahlen von Eurostat hinweisen. Denn diese beweisen, dass Griechenland im vergangenen Jahr, der einzige EU-Staat mit Rezession war.

Eben darum fordert der IWF weitere Sparmaßnahmen, vulgo neue Steuern und Rentenkürzungen. Den zu Weihnachten noch beschenkten Rentnern muss Tsipras, möchte er keinen Bruch mit den Kreditgebern riskieren, muss der griechische Premier nun 1,5 Monatsrenten pro Jahr abknöpfen. Auf diese Höhe summiert sich der Nettoverlust aus Rentenkürzung und Einkommenssteuererhöhung für Rentner mit einem monatlichen Einkommen von mehr als 700 Euro.

Versprechen auf Kürzungen auch bei den Belastungen

Den Bürgern verspricht Finanzminister Euklid Tsakalotos, dass es im Gegenzug zu den Kürzungen in den Leistungen für einige auch Kürzungen in den Belastungen geben soll. Allerdings, so Tsakalotos, würden einige bei diesen Maßnahmen verlieren, und andere gewinnen.

Umso überraschter waren die Bürger, als sie am Dienstag in den Zeitungen lasen, dass die Volksvertreter Dank eines neuen Gesetzes nun pro Jahr bis zu 2.000 Euro weniger Solidaritätsabgaben zu zahlen haben. Parlamentspräsident Nikos Voutsis gab sich unschuldig, nicht er oder das Parlament seien dafür verantwortlich, sondern ein von Tsakalotos vor kurzem ins Parlament gebrachtes Gesetz. Dass dieses von den Abgeordneten abgesegnet wurde, sieht Voutsis nicht als erhebliche Beteiligung des von ihm repräsentierten hohen Hauses.

Probleme gibt es auch mit anderen Gesetzen, wie mit der erst vor knapp einem Jahr verabschiedeten Rentenreform. Hier hatte der damalige Arbeits- und Sozialminister Giorgos Katrougalos eine neue Berechnungsform eingeführt, welche die Rentenhöhe in Bezug zu den im Arbeitsleben erzielten Einkommen setzt. Weil Griechenland zu Zeiten der Drachme hohe Inflationsraten hatte, muss die ElStat den Rentenkassen in der Praxis für jeden Rentner einzeln die Kaufkraft der jeweiligen Einkommen in den Drachmenjahren berechnen, beziehungsweise einen Algorithmus dafür schaffen. Dies ist bis heute nicht geschehen, so dass nunmehr knapp 65.000 Rentner zwar ihre vollständigen Unterlagen eingereicht haben und ihre Arbeitsverhältnisse beendet haben, aber immer noch keine Rente erhalten können. Ein Termin für eine Lösung des Problems ist nicht absehbar. Für den jetzigen Vizeminister im Auswärtigen Amt sind die Statistiker an allem Schuld.

Katrougalos Nachfolgerin im Amt, seine frühere persönliche Assistentin in Zeiten Katrougalos Abgeordnetentätigkeit im EU-Parlament und im seines Wirkens im Arbeitsministerium, Efi Achtzioglou musste einen weiteren Wermutstropfen in Tsipras Erfolgsstory eingestehen. Sie bestätigte Presseberichte, denen gemäß zahlreiche Firmen ihre Angestellten statt mit Geld, mit Einkaufsgutscheinen für Supermärkte entlohnen. Diese Gutscheine sind indes ohne großen Wert. Derartige Gutscheine verteilen nämlich viele Sonntagzeitungen in der Absicht, damit die Verkaufszahlen ihrer Blätter zu erhöhen. Hier helfen die dadurch erzielten besseren Verkaufsstatistiken zumindest den Verlegern dabei, höhere Werbeeinnahmen zu generieren.

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